Feind-Bild Essay

Essay zu Feind-Bild, Juni 2010

Was prägt unsere Kommunikationsgesellschaft? Neue Fronten und Bilderkriege zeigen sich von Pornopop und Papstbeschimpfung bis hin zu Raubkopie und Radikaldemokratie. Die Spannungsverhältnisse des digitalen Raums wollen wir in den realen Museumsraum tragen. Alle sind eingeladen, mit eigenen Ansichten und Vorstellungen am offenen Community-Ausstellungsprojekt zu partizipieren und akute Phänomene der Echtzeitkommunikation auch in ihrer kunsthistorischen Perspektive neu auszuloten.

I Anfeindung, Entzweiung, Gaps – Neue Feindbilder

Vielgelobt als verbindende Kommunikations- und Wissensmaschine beschert das Internet zugleich auch neue Spannungen und Brüche. Frei wählbare Communities entstehen an Stelle zwingender Schicksalsgemeinschaften. Unterschiedliche politische, ökonomische oder machtstrategische Positionen und Visionen resultieren in spezifischen Erwartungshaltungen. Netzaffine werden von Technikskeptikern nicht verstanden, Junge von Alten, Onliner von Offlinern, Visionäre von Kulturpessimisten.

Ein Legitimations- und Verteilungskampf zeichnet sich ab zwischen den unterschiedlichen Interessengruppen. Verbände stellen Besitzansprüche und fordern Kontrolle über Distributionskanäle, die Film- und Musikindustrie tritt gegen Filesharer an, Brockhaus gegen Wikipedia – sogar der Weltkonzern Google gegen die Weltmacht China.

Konfrontiert mit anderen Formen der Welt- und Selbstsicht zeigen sich exotische Wertmaßstäbe und Verhaltensweisen nicht nur zwischen den unterschiedlichen Kulturen, der Culture Clash findet sich auch innerhalb des sozio-kulturellen Umfelds. Abgrenzung durch Verhaltens- und Betrachtungsweisen formen Identifikation als eine Differenz im Sinne von “wir sind die anderen” – sich zu unterscheiden ist ein Akt der Selbstbehauptung und des Heraustretens.

II Homo homini lupus – alle gegen alle

Die ‘imperialistische’, ’kapitalistische’, ‘rote’ oder ‘gelbe’ Gefahr war eine, die draussen und drüben lauerte. Aktuelle Bedrohungen in Zeiten der Globalisierung schleichen sich indes ein oder fallen gar über uns her: Heuschrecken, -Ismen, Terroranschläge, Unterwanderung, Zersetzung. Die Betrachtungsweise hat sich verändert. Haben wir früher Fern-Gesehen, verhaften wir heute in der Idee, individuell zu partizipieren – und sind alleine durch diese Definitionsverschiebung involviert.

Vorbei die Passivität des Publikums. Es genügt nicht, das Gerät einzuschalten oder an ein System angeschlossen zu sein. Die Gleichartigkeit und Gleichzeitigkeit legitimiert den Kampf um die Aufmerksamkeit. Andere tun das auch. Die Nutzerinnen müssen sich selbst herausstellen, sich selbst aktiv produzieren, gesehen werden. Auffallen und Heraustreten wird ein Effekt des Systems. Besucherfrequenzen werden zur Messlatte. Selbstdarstellungen werden optimiert hinsichtlich der medialen Umgebung.

Aus diesem Kommunikationsdarwinismus geht hervor, dass jede Form von Emanzipationskampf eine Gegendarstellung hervorruft. Wertkonservative und extremistische Positionen können sich selbst als Korrektiv zum Aufbegehren anderer positionieren. In einer Welt der erklärten Schrankenlosigkeit kann sich jede regional oder lokal noch so mächtige Position durch ein vages Anderes am anderen Ende der Welt bedroht wähnen – und als gefährdete Minderheit können alle den besonderen Schutz, die gesonderte Aufmerksamkeit einfordern.

Debattierfreude ist ein Gewinn für die Demokratie. Die Auffassung, dass sich alle Gehör verschaffen können, dass sich die Gesellschaft in den Diskussionen und Umfragen gar abbilde, ist jedoch ein Trugschluss. Der sich in Diskussionen zeigende Wettbewerb der Ideen und Akteure stellt sich auf eine Annahme der Chancengleichheit, der Gleichzeitigkeit und Gleichartigkeit. Dabei ist gerade der Wunsch nach einer Gleichheit der Kern des emanzipatorischen Aufbegehrens. Gegenseitige Anfeindungen machen zwar unterschiedliche Positionen identifizierbar, aber sie zeigen lediglich die herrschende, bipolare Diskussionsstruktur in Kommunikationsprozessen, nicht aber die politischen oder sozialen Verhältnisse.

III Macht der Mitläufer

Partizipation, Zugangs- und Chancengleichheit statt Ausschluss und Distinktion – das ist ein zentrales Anliegen einer gerechten, demokratischen Gesellschaftsordnung. Als Folge einer digitalen Spaltung wurde zur Jahrtausendwende eine Benachteiligung bestimmter Gesellschaftsschichten befürchtet, dieser Spaltung sollte mit gezielter Ausbildung und vermehrten Internet-Anschlüssen entgegengesteuert werden. Kollektive Partizipation entspricht dem Prinzip der Weltkommunikation – aber auch der Demokratie. Folglich sollten Unterschiede nivelliert und eine Erreichbarkeit gefördert werden. Web 2.0 war neuerliches Schlagwort für die Optimierung der Zugänglichkeit.
Doch mit den vorgefertigten Kommunikationsforen und Profilen ergeben sich auch bestimmte Verhaltensweisen. Einzelne Schritte und Ausdrucksmöglichkeiten werden vorhersehbar. Hinzu kommt die schiere statistische Größe, das Dabeisein – nicht, was kommuniziert wird, sondern dass kommuniziert wird ist bedeutend. Was ohnehin alle weiterreichen, unterstreicht Twitter nochmals als relevant. Klickraten bestimmen die Searchlists, die Mehrheit katapultiert eine Auswahl auf die Spitzenpositionen.
Doch wodurch zeichnet sich Mitgestaltung aus und was sind bloße Mitläufer? Der globale Austausch bringt auch eine Austauschbarkeit. Gerade aber diese Austauschbarkeit erlaubt, dass beliebig neue Formen der Gemeinsamkeit oder der Aufmerksamkeit – des Hypes – entstehen können.
Als Teil der Masse sind wir immer beides: mitgerissen und überwältigt. Canetti bemerkte, dass uns die Masse aufhebt im doppelten Sinne: dass wir eingebunden werden und zugleich in der Masse als Einzelwesen freigesetzt sind. Dieses Phänomen prägt aktuelle Diskussionen der Performanz. Der Mainstream findet neue Formen und Ausprägungen, entdeckt den Befreiungsschlag im Besonderen der Gleichartigkeit.
So genannte Flash-Mobs sind Manifestationen dessen. Die Versammlung im öffentlichen Raum erfolgt nun hinsichtlich ihrer Wirkung, eine Aufmerksamkeit erregend, ohne jedoch ein Mittel zu sein, ohne machtpolitische Bedeutsamkeit oder sozio-kulturelle Verbindlichkeit. Die Einfachheit der Botschaft als pure Anwesenheit ist ihr unschlagbares Potenzial: Ich bin jetzt hier.
Die Akteure stehen für sich selbst, das macht sie identisch. Die Präsentation und Repräsentation der Person wird nicht nur in der virtuellen Umgebung – dem kommunikativen Sozialraum – deckungsgleich, sondern diese Identität funktioniert auch im öffentlichen Raum.
Die Kunstaktion der 70er Jahre (als Polit-Aktion wie Fluxus) wurde in den 90ern zur Aktionskunst (zur Inszenierung z.B. bei Spencer Tunick) und findet sich nun als Flashmob wieder – als Aktionismus, der sich nun als Selbstinszenierung und Selbstmanifestation vollzieht.

Identität ist eine Performance. Nicht etwas zu bewirken oder etwas zu erwirken (in einem Polit-Aktivismus), nicht innere Stringenz einer Identitätskonstruktion, sondern die Sichtbarkeit ist relevant, als Effekt eines Selbst und darin als Repräsentation eigenen Daseins – ich vermittle mich selbst, also bin ich. Existenz vollzieht sich im Heideggerschen Sinne als das Heraustreten, im realen wie im medialen, digital gespiegelten Dasein.

IV Feindbild – Das Bild als Feind

Die schwindende Privatsphäre und die permanente, mediale Übermittlung und Vermittlung von Persönlichkeitsaspekten mischen die Faktoren des Eindrucks und des Ausdrucks komplett. In digitaler Kommunikation generiert eine scheinbar passive Betrachtung in der Tat eine enorme Sichtbarkeit, das Aufrufen einer Webseite, das Herumspazieren mit einem Mobiltelefon – nahezu alles was wir tun generiert Daten.
Die angefallenen Logfiles, History-Lists oder Georeferenzen greifen dem eigenen Betrachten permanent voraus. Sie schreiben sich als Konfiguration, Vorselektion oder Disposition unserer künftigen Ansicht ein. Eine Handhabung und ein Bewegungsmuster haben sich der Auswahl von Suchresultaten oder den Partnervorschlägen des Online-Datings bereits eingeprägt. Diese Verknüpfungen und Rückkoppelungen sowie die mediale Vermittlung mannigfaltiger Deutungen und Bedeutungen verwischen die Trennung von objektivierender Erkenntnis und subjektivierendem Bekenntnis. Die eigene Haltung zum Gegenstand der Betrachtung schreibt sich permanent in alle Bereiche ein (Klickrate, Foren, Kommentare, Rating, Searchterms, Zugriffe) dass wir uns im Effekt auf die Ansichtssache immer wieder selbst zugleich erkennen und bekennen.

Susan Sontag bemerkte, dass die Affektsteuerung bei Individuen wie in Gesellschaften mehr durch den Kontext als durch das Bild allein erfolge. Ihre Beobachtung schärft sie anhand des nationalsozialistischen Propagandafilms. Mit der Bilderordnung des Internets lässt sich dieser Verhalt sehr einfach und einprägsam nachvollziehen. Bilder, die in Deutschland als verfassungswidrig oder gesetzeswidrig ausgeblendet werden, sind als identische Bilder in anderem Kontext dennoch zu finden. Diese Feststellung ist so trivial, dass sie kaum erwähnenswert scheint. Natürlich verwendet eine rechtsradikale Propaganda die gleichen Hitlerbilder und Hakenkreuzfahnen, wie sie auch in den historischen Aufarbeitungen zu sehen sind.
Der komplexe Kontext der Bilder und Zeichen ist mit dem vereinfachten Reaktionsmuster auf die Bilder und Zeichen nicht verschwunden. Eine grössere Kontextualisierungsstruktur geht damit einher. Inhalte, Communities, spezifische Portale oder ganze Teile des Internets bringen ein Chanelling, eine Kanalisierung der verschiedenen Ansätze und darin eine Kontextualisierung, die ein Zappen zwischen den Channels erlaubt und zugleich immer eine Einbettung und Orientierung bietet.

Hier sind die Neonazis am Palavern, dort die historischen oder aufklärenden Texte. Die spezifische Bildbedeutung ergibt sich durch den jeweiligen Channel, das unterscheidet sich sehr deutlich. Doch diese Unterscheidung zwischen Aufklärung und Neonazi-Propaganda vollzieht sich in unseren Augen nur auf Grund einer zweiten Kontextualisierungsebene. Der offene, freie Kommunikationsrahmen des World Wide Web bietet uns unterschiedliche Ansichten. Wir finden das, was wir suchen – und eben auch das, was wir nicht sehen wollen. Diese Heterogenität irritiert uns nicht nachhaltig. Das Bild erscheint für sich selbst als Erkennungszeichen – ohne uns nachhaltige Probleme zu bescheren, dass das gleiche Bild auch dessen Gegenteil sein kann. Die Vorstellung einer unendlichen Vielfalt an Themen und Ansichten begründet erst die freie Auswahl, neue Bedeutungszusammenhänge zu finden, andere Deutungen vorzunehmen und sich beliebig zu den unterschiedlichen Communities hingezogen zu fühlen.

Prekär ist die Betrachtung, die nicht innerhalb eines bestimmten Kontextes oder eines gewählten Channels stattfindet. Jede Form einer Bestandsaufnahme, jeder Versuch einer Erfassung oder eines Überblicks dieser heterogenen Bilderflut wird bereits an einer Einteilung oder einer Herangehensweise scheitern.

Die eigene Auswahl und die eigene Deutung bestimmt den Umgang mit den Informationen. Nicht der einzelne Bedeutungsträger ist relevant, sondern der ausgelöste Effekt. Bedeutungen vollziehen sich als Deutungen durch die Betrachterinnen. Der Effekt ist ein wechselseitiger, denn er beinhaltet auch das Bekenntnis durch die Betrachterin. Das Erkennungszeichen bezieht sich bereits auf die Haltung zum Gegenstand. Dadurch überträgt sich die individuelle Betrachtungsweise auch auf das Bild: das Bild selbst ist das Feindbild. Ich reagiere umgehend auf das, was ich sehe. Ich lehne die Darstellung ab oder bejahe sie.

V Bilderfeind

Besonders bei Webinhalten wird der Übergang von einer Kultur der Schriftlichkeit in eine visuelle Kultur konstatiert, sei es durch den Einsatz von Illustrationen, Karten, Visualisierungen, als Dekoration und Ausschmückung oder durch Film- und Bildstrecken, die lange Texte ersetzen. Durch die Anzahl und Nutzungsart sind wir effektiv den Bildern ausgesetzt.

Die Schreckensbilder, die mit den unterschiedlichsten Bildwelten und Datenquellen offen stehen, führen zu Verunsicherungen und Diskussionen rund um Jugendschutz, Pornografie, Gewalt und Propaganda. Wir erschrecken über Bilder, sind mitunter konfrontiert mit Bildern, die uns verfolgen und sich in unser Gedächtnis einbrennen können.

Die Wirkung und Auswirkung von Bildern steht jedoch nicht fest. Wie die Bilder unser individuelles Verhalten und die kollektiven Vorstellungen prägen, ist von vielfältigen Faktoren abhängig. So mannigfaltig eine individuelle Interpretation bleibt, so vielfältig ist auch eine von den Bildern ausgehende Bedeutung und Wirkung. Vollstrecken wir das, was die Bilder verheissen? Sind wir zu stimulieren, verführen, aufzuwiegeln? Bilden sich Legitimations-, Lern- und Verhaltensmodelle? Findet eine Prägung durch die Sujets oder eine Gewöhnung an gefährliche Vorstellungen statt? Bedrohen Bilder die Rechtsordnung?

Der Zusammenhang von Deutung und Bedeutung ist nicht fixierbar. Selbst wenn klare Verstösse gegen ethische Grundfesten in den Bildern sichtbar sind, bleiben diese Repräsentationen dennoch von einer Bedeutungsbeimessung abhängig. Gerade in einer ungewohnten oder schockierenden Weise können Bilder neue Wirkungen und Zusammenhänge aufdecken. Goya stellte in der Reihe Desastres die Schrecknisse des Krieges dar, um die Menschen aufzuwecken.
Schliesslich kann gar die Frage aufgeworfen werden, weshalb wir bestimmte schreckliche Bilder nicht sehen wollen. Versuchen wir die schrecklichen Vorstellungen oder gar die ethisch daraus erwachsenden Vorwürfe los zu werden? Könnten wir nicht ebenso diese schrecklichen Bilder hochhalten, damit wir das Wissen um die Schrecknisse und die Gefahren – im Bilde gebannt – vor Augen haben?

Die Form von Bildern kann bedrohlich sein, kann Angst machen und verletzend oder verstörend wirken. Sexistische, gewaltstiftende, homophobe, rassistische und antisemitische Inhalte können verheerende Vorbilder abgeben, können den Frieden stören und eine Gewaltbereitschaft fördern.
Umgekehrt sind jedoch selbst die furchterregendsten Bilder meist nicht auf eine einzige und eindeutige Wirkung zu reduzieren. Oft bilden dann ästhetische Kriterien den Maßstab, die Betrachtung folgt einer bestimmten Auffassung, die Ablehnung rührt aus einer Frage des Geschmacks.

VI Macht und Herrschaft über Bilder

Das Verhandeln und Vermitteln von Werten und die Meinungsbildungsprozesse sind zentrale Aspekte der Politik. Deshalb wird die Kommunikation immer relevanter – nicht nur für Verwaltung oder Regierung, sondern für die Gesamtgesellschaft. Mittels digitalem Datennetz lassen sich politische und demokratische Prozesse ausformen. Die Wahl von Obama zeigte, dass neue Wählergruppen und Diskussionsformen via Internet entscheidend mitwirken können.

Im digitalen Kommunikationsraum zeichnen sich Stimmungslagen und Veränderungen ab, und unmittelbares Eingreifen in die Entscheidungsprozesse wird möglich, weil wir uns alle individuell und zeitnah äussern und ausdrücken können. Der Öffnung und Transparenz einer “gläsernen” Verwaltung stehen die akribisch erfassbaren Individuen gegenüber. Der Schutz und die Auflösung der Privatsphäre wird diskutiert. Die technologischen Möglichkeiten, jede einzelne Bürgerin bis hin zu ihren individuellen Regungen und Bewegungen erfassen zu können, weckt auch bei den Volksvertreterinnen den Wunsch, möglichst viel über potenzielle Wählerinnen, deren Erwartungen und Verhalten zu wissen.

Zugleich verliert sich ein Konsens. Die zentralen Anschauungen (Staatsziel, Leitkultur, Landessprache, Wertetradition) sind relativiert, wenn just die individuellen Freiheiten und die unterschiedlichen Betrachtungsweisen konstitutive Faktoren der demokratischen Ordnung sind.

Mit einem Fokus auf die Kommunikation verlagert sich die Politik komplett auf die Ebene des Symbolischen. Dabei geht es nicht um Symbolpolitik (also die Kritik, dass sich Politik nur um symbolische Handlungen statt nachhaltige Gestaltung bemüht). Mehr noch greift hier eine Politik des Symbolischen, weil Politik zunehmend im Kommunikationsraum stattfindet, sich deshalb nicht nur auf den Kommunikationsraum bezieht, sondern sich direkt in dem Kommunikationsraum realisieren und sich selbst in das Prinzip einschreiben kann.

Die ethischen Beweggründe zur Regulierung der Bilderflut sind vor eine schwierige Hürde gestellt. Die Regulierung der Bilder will den Auswirkungen der Darstellungen vorbeugen. Die Tilgung der Bilder scheint die Antwort auf jene dringenden Forderungen, den Schutz der Schwächeren zu gewährleisten. Was im Internet auftaucht, wird im Internet auch gleich bekämpft und eliminiert. Dieser Griff scheint sinnvoll, geschieht doch das Einschreiten direkt am Entstehungsort des Problems.
Doch mit der Beurteilung von Bildern und Bildwirkungen projizieren wir unsere eigenen Vorstellungen hinein. Die Regulierung demokratischer Diskussions- und Kommunikationsprozesse durch die Ordnungsmacht kommt deshalb einem Kurzschluss gleich. Aus einer Einladung zur freien Meinungsäusserung und Mitgestaltung wird ein Vorausgreifen auf die Beteiligten.

VII Feindbilder sind Trugbilder

Hinter der Ordnung und der Regelung unserer Kommunikation steckt der Versuch eines Ausgleichs und die Herstellung eines friedlichen Neben- und Miteinanders. Der Wunsch, eine reale Bedrohung und Gefahr zu bannen, führt dazu, Ungerechtigkeiten aufzuzeigen, falsche Ansichten zu kritisieren und zu korrigieren, vielleicht sogar bestimmte Webinhalte zu löschen. Doch jede Beurteilung birgt die Gefahr, selbst einer Projektion, einem Feindbild aufzusitzen – und selbst gegen die erstrebte Gerechtigkeit zu verstoßen.

Bedeutungen und Wertungen rühren scheinbar vom Erkenntnisgegenstand her, in der Tat aber wird durch die Betrachtungsweise eine bestimmte Machtposition geformt. Während wir uns um bestimmte, neuralgische Punkte sorgen, an denen unsere Gesellschaft verwundbar ist: Terrorismus, Menschlichkeit, Minderheit – hat Judith Butler gezielt den Finger mitten in diese Wunden gelegt und gezeigt, dass die Diagnose der Verwundbarkeit bereits auf Formen von Zuschreibungen und Machtkonstruktionen basiert. Problematisch ist die Bereitschaft, mit der eigenen Unsicherheit und Angst zu bestehenden oder neuen Feindbildern aktiv beizutragen, und sich damit selbst instrumentalisieren zu lassen. Stattdessen gilt es, sich freizukämpfen von dem scheinbar Offensichtlichen, und immer wieder um eigene, selbstkritische und kritische Ansichten zu ringen.

1. Das Aufbegehren gegen Ungerechtigkeit – doch wer darf überhaupt sprechen?
Die zivilisierte Weltgemeinschaft will in Frieden und Sicherheit leben. Eine Absprache nationaler Machthaber regelt diese Weltordnung. Bestimmte Gruppen (Uighuren, Tibeter, Palästinenser, Kurden), die sich nicht in bestehenden Machtverhältnissen repräsentiert finden, werden gezielt und kategorisch als Feinde der Ziviligesellschaft ausgeschlossen. Wer gegen die vorherrschende nationale oder territoriale Machtverteilung aufbegehrt, gilt als Terrorist. Der Versuch, sich selbst zu definieren und zu legitimieren gilt als erneuter Terrorakt. Die Unterdrückung ergreift auch alle Versuche und Anstrengungen der Selbstdarstellung und Legitimation. Die kämpferische Haltung der Gruppen scheint jede Unterdrückung erst recht zu legitimieren. Judith Butler nennt diese Situation eine neue Dimension der Gouvernementalität.

2. Der Mensch und die Menschlichkeit – doch wer erlangt diesen Status?
Der Wert des Menschen und die Achtung seines Lebens drückt sich auch in der Form aus, in der ein gewaltsamer Tod beklagbar und betrauerbar ist. Anerkennung und ein Andenken an Menschenleben unterscheiden sich jedoch gewaltig, so gibt es nicht nur wertvolles Leben, das innerhalb einer Kulturgemeinschaft betrauert wird, sondern es gibt auch Leben, das offensichtlich als wertlos erscheint und das deshalb spurlos und damit tatsächlich final und bedeutungslos ausgelöscht werden kann. “Der institutionalisierte und aktive Rassismus auf der Ebene der Wahrnehmung bringt ikonische Darstellungen von Bevölkerungsgruppen hervor, die in höchstem Maße betrauerbar sind, und er erzeugt Bilder von Gruppen, deren Verschwinden kein Verlust ist und die unbetrauerbar bleiben.” (Judith Butler, Raster des Krieges)

3. Opfer – doch was ist die Gefahr?
Immer wieder fallen wir in bipolare Deutungsstrukturen. Eine schwierige Auseinandersetzung umrankt den Opferstatus und die Mehrfachopfer. Die Verletztheit zeigt immer auch eine Verletzbarkeit, ein Unterliegen ist eine Schwäche. Aus dieser Situation der Verdoppelung (schwache Opfer und starke Täter) eine gesellschaftliche Umkehr zu erlangen, auch auf der Ebene der Bedeutungen, der sprachlichen Repräsentation, ist eine komplexe, kulturelle Aufgabe. Jede Bedrohung führt zur Spaltung, jede Spaltung aber intendiert neue Formen von (Bedeutungs)Macht und Ohnmacht. In ihrer Rede vor dem Brandenburger Tor anlässlich des CSD-Christopher Street Day (die jährliche Massendemonstration Homosexueller) legte Judith Butler dar, dass sich innerhalb der Homosexuellen-Organisationen rassistische Tendenzen abzeichnen, wenn von der Bedrohung und dem Täterprofil gesprochen wird: männlich, muslimisch, gewaltbereit, Migrationshintergrund. Hier wird ein Rassismus und eine Ausgrenzung vorgenommen von einer Gruppe, die vor dem Hintergrund eigener Ausgrenzungserfahrung agiert.

Obwohl tragische Übergriffe und Gewalttaten vorkommen, ist die Problematik pauschaler Feindbilder für die Homosexuellen selbst sichtbar, wenn es beispielsweise um Gleichstellungs- oder Adoptionsrechte geht. Tatsächlich dienen diese Feindbilder (Homosexuelle gegen Migrantinnen) einer Instrumentalisierung und Spaltung der Gesellschaft, in dem die sexuelle Freiheit unvereinbar mit einer offenen, multikulturellen Gesellschaft dargestellt wird und die Akzeptanz von Homosexualität gezielt als Hürde für Einbürgerungswillige eingesetzt wird.

Die Chance liegt also darin, eine kollektiv vorherrschende Bedeutungsmacht nicht unbesehen in der eigenen Anschauung zu wiederholen, sondern die herrschenden Vorstellungen selbstkritisch und fundamental auf die Probe zu stellen.

IIX Kunst-Geschichten

Die digitale Kommunikation formt bestimmte Rezeptionsverhalten. Ein wachsendes Bilder- und Informationsangebot verkürzt auf das Anklicken, Betrachten, Auswählen, Entscheiden. Wir sind uns gewohnt, innerhalb eines bestimmten Rahmens (eines Zeitrahmens, einer Software oder eines Kommunikationsfeldes) zu interagieren. Eine Vorherrschaft und Normierung durch grosse Konzerne und Tools wie Facebook, Google, Twitter kanalisiert unsere Erwartungshaltungen und greift eigenen Aktionspotenzialen vor. Einer Nivellierung und Monopolisierung der Ausdrucksform, des Rahmens oder des Zugangs steht der kategorische Ausschluss bestimmter Weltregionen oder die Unterbindung anderer Kommunikationsinhalten und -optionen gegenüber.

Gerade diese Selektion und Verknappung wird jedoch vielfach begrüßt. Hinsichtlich einer Gesamtheit möglicher Bedeutungspotenziale sind wir kategorisch überfordert, ausgeliefert und orientierungslos. Der Anspruch von einer Offenheit ist per Definition nicht spezifiziert und nicht fassbar. Das Globale ist unfassbar und unbeschränkt, und daher schlicht unbedeutend.

Die Installation Feindbild will eine andere, eine nahezu klassisch-kunsthistorische und überraschend einfache Herangehensweise ausprobieren. Die Bilder und Zeichen werden aus dem funktionalisierten Umfeld herausgeschält und in den Museumsraum geholt. Die eigene Ansicht vermittelt sich als Prozess des Erfahrens. Die Installation fragt nach potenziellen Wirkungen und Zusammenhängen und vergleicht Aspekte der Bilder- und Kunstgeschichte mit den Darstellungsweisen unserer Kommunikationsgesellschaft.

Jüngste Motive aus den Netzkulturen lassen sich im Kontext historischer Bilderstreite befragen. So entpuppt sich die École de Fontainebleau als eine verblüffende Vorläuferin des Online-Datings, wenn gleich damals nicht Handy-Bilder, sondern Ölgemälde herumgereicht wurden. Ein Ansatz einer Archäologie digitaler Bildmedien leuchtet auf, wenn sich die Reihe von den ersten indizierten Computerspielen bis hin zu aktuellen Kriegsspielen in einer Abfolge zeigt. Die Abwicklung erscheint wie ein ikonografischer Zeitraffer. Eine Entwicklung von archaischen, prähistorischen Bildmotiven bis zu heutigen Bildtechnologien spielt sich nochmals ab, statt in zwanzigtausend in nunmehr zwanzig Jahren, in deren Verlauf die primitiven Pixelmännchen zu komplexen Armeesimulationen mutieren. Gerade aber die technologischen und visuellen Entwicklungen können die heutige Situation und Diskussionen nicht entschärfen. Im Gegenteil zeigen die historischen Parallelen vielmehr eine Kontinuität teilweise erbitterter Auseinandersetzungen um Ansichten und gesellschaftliche Werte.

Die Ausstellungsbesucherinnen sollen bewusst auch selbst in diese Spannungsverhältnisse und die (Bilder)Fronten eingreifen, und direkt in der Installation auch eigene, neue Aspekte der Bedeutungen hinzufügen. Besonders jene Feindbilder, die auf ein leidenschaftliches Bekenntnis und eine unüberwindliche Positionierung zurückgehen, können sich nun in Form der direkten Konfrontation auch in einem materiellen, kommunikativen und bildlichen Gegenüber entladen.

IX Herausforderung

Bildende Kunst, aber auch digitale Netzwerke schaffen eine Offenheit als Erkenntnisoption. Diese Option anzunehmen und sich der Herausforderung zu stellen, ist das Unterfangen des Projekts.
Duchamp wies mit dem Readymade bereits in eine Richtung, die später unter dem Begriff des Offenen Kunstwerks Schule machte. In einer bedeutungsoffen Anordnung stehen die Rezeptionsbedingungen und die eigenen Be-Deutung im Zentrum der Auseinandersetzung. Das offene Kunstwerk will die Herausforderung der Wahrnehmungsprozesse, des sinnlichen Betrachtens und menschlichen Reflektierens schlechthin. Die Installation Feindbild adaptiert diese Herausforderung. Die Installation dient als veränderbare Versuchsanordnung, in der wir uns selbst und unseren Umgang mitten in einer Bilderflut und Bildergeschichte ausprobieren.

Das ganzes Museum wird als eine offene Konstellation bespielt, wie ein grosses, gemeinsames Skizzenbuch, in dem sich all das Schwemmgut aus dem digitalen Fluss ansammeln kann, in dem wir die Dinge aus unterschiedlichen Blickwinkeln diskutieren und betrachten, und neue Perspektiven des Austauschs ergründen.

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