FEINDBILD 2.0

Ausstellung, Community- und Diskussionsplattform zu Bild- und Bedeutungsproduktionen im digitalen Zeitalter

von Christoph Wachter & Mathias Jud
Kuratiert von Christiane Mennicke

Eröffnung am Freitag, den 08. Oktober 19 Uhr
09. Oktober bis 19. Dezember 2010 im Kunsthaus Dresden, Städtische Galerie für Gegenwartskunst

Von Killergame und Karrikaturenstreit bis zu Raubkopie und Radikaldemokratie zeichnen sich im digitalen Raum neue Fronten ab. Die Versuche der Einschränkungen und der Kontrolle des Internets verschärfen den Streit, erscheinen sie doch als Verrat am Ideal der freien Kommunikationsgesellschaft. Die offene, partizipative Installation FEINDBILD 2.0 im Kunsthaus Dresden der Schweizer Künstler Christoph Wachter & Mathias Jud spürt aktuellen und akuten Spannungsverhältnissen nach. Explizite Darstellungen der Gewalt und der Körper, oder die Auseinandersetzungen um politische und religiöse Zeichen können im Museumsraum neu verhandelt werden. Netzkulturen, interessierte Gruppen und BesucherInnen sind eingeladen, in die Ausstellung in allen Räume des Kunsthauses Dresden direkt einzugreifen und mitzuwirken, die streitbaren Bilder auch in kunsthistorischer, ethischer und ästhetischer Hinsicht neu zu verhandeln.

Das World Wide Web als offene, freie Kommunikations- und Wissensmaschine weckt Hoffnungen. Frei wählbare Communities entstehen an Stelle zwingender Schicksalsgemeinschaften. Spezifische Darstellungen sind zentrale Aspekte des Zusammenhalts. Unterschiedliche politische, ökonomische oder machtstrategische Positionen lassen sich in Netzkulturen und Emanzipationsbewegungen ausformen.

Das digitale Zeitalter bringt aber auch neue Spannungen und Brüche. Ein Legitimations- und Verteilungskampf entbrennt zwischen den unterschiedlichen Interessengruppen hinsichtlich einer Kontrolle der Kommunikationskanäle. In digitalen Kommunikationsprozessen sind die BetrachterInnen konfrontiert und involviert. Vor allem Bilder werden in der schwer kontrollierbaren Präsenz des Internets immer wieder Auslöser heftiger Wertekonflikte und -debatten. Anstrengungen hinsichtlich Bildordnungen, Darstellungsverbote und Jugendschutz greifen nur sehr bedingt. Stattdessen eskaliert der Bilderstreit in nie dagewesener Form. Karikaturen führen zu Unruhen mit vielen Toten, Bauformen oder Kopfbedeckungen werden zur unüberwindlichen Distiktion erhoben und einzig für ein weiteres Munitionieren des Bilderkrieges werden Menschen gefoltert und hingerichtet. (1) Bilder werden selbst in blutigen Übergriffen entscheidender Faktor. Diese verhängnisvolle Situation ist besonders evident in der Stadt, in der sich der schreckliche Mord an Marwa el-Sherbini ereignete.

Eine fatale Entwicklung anhand visueller Erscheinungs- und Repräsentationsformen verleiht jeder individuellen, gar flüchtigen Betrachtung den Status einer folgeschweren Handlung. Der offene Betrachtungsprozess verkürzt sich in der Konsequenz: als BetrachterInnen werden wir in komplexer Weise auf uns selbst zurückgeworfen, im Gegenzug werden die konsumierten Bilder indes zu Erkennungszeichen oder zu Bekenntnissen – das Bild selbst wird zum Feind-Bild.

Ein individueller Resonanz-, Erkundungs- und Aktionsraum, der gedankliche Spielraum, der in einer dialoghaften Betrachtung und Auseinandersetzung noch gegeben war, verkürzt sich. Die schwindende Privatsphäre und die permanente, mediale Übermittlung und Vermittlung von Persönlichkeitsaspekten vermischen die Faktoren des Eindrucks und des Ausdrucks vollends, lassen die Deutungsoptionen und die Bekenntnis- und Erkenntnisaspekte kongruent erscheinen. Jede passive Betrachtung erzeugt heute eine enorme Sichtbarkeit. Das Aufrufen einer Webseite, das Herumspazieren mit einem Mobiltelefon – nahezu alles was wir tun generiert Daten. Die angefallenen Logfiles, History-Lists oder Georeferenzen greifen dem eigenen Betrachten permanent voraus und prägen als Werbebanner, Suchresultate oder Partnervorschläge des Online-Datings unsere künftigen Ansichten. Detaillierte Datensammlungen generieren neue Formen der Macht. Das spezifische Verhalten im Kommunikationskontext führt direkt zu perfiden Konfigurationen, die uns eine eigene Vorstellung verzerrt vorspiegeln – wie Geschichte von Cate Reid zeigt, einer 17-jährigen Amerikanerin, die sich sorgte, zu dick zu sein und seit einer bestimmten Suchanfrage fortan immer durch spezifsch eingeblendete Werbungen für Diätprodukte und Schlankheitsmedikamente unentwegt auf ihre persönliche Unsicherheit zurückgeworfen wird.(2) Ein Tracking (z.B. mittels Nutzerprofile oder Cookies) erlaubt eine subtile Steuerungsmacht, der sowohl die Staatsregierungen, aber auch Konzerne und Werbefirmen habhaft werden wollen. Trotz Debatten über den Schutz der Privatsphäre haben Regierungen die Datensammlungen nicht abgeschafft, sondern sie wollen über diese Daten vielmehr selbst verfügen.(3)

Die Sichtbarkeit der Macht verflüchtigt sich. RepräsentantInnen der Staatsmacht versteht sich als DienerInnen des Volkes und verweisen auf einen Verfassungspatriotismus. Selbst die Bauform des Sächsischen Landtags in Dresden als gläserne Offenheit taucht vor der Silhouette historischer Machtmanifestationen ab, duckt sich neben dem Stadtschloss, den Kirchtürmen oder der bürgerlich-feudalen Semperoper weg.(4) Eine Regierungsmacht scheint sich aufzulösen in internationalen Zwängen und dem Dienst an den BürgerInnen, dabei aber werden die Lebensformen und Äusserungen der BürgerInnen zu Fakten erhoben, die sich gezielt fördern oder ausgrenzen lassen. Darin schreibt sich gouvernementale Macht in neuer Form ein, wird zur Orchestrierung der Lebensmodelle und Legitimationsdebatten, die an entscheidender Stelle gegen einander ausgespielt werden, wenn Linksextreme den Rechtsextremen, Einbürgerungswillige den Homosexuellen (5),  gleichgeschlechtliche Adapitonswillige den konservativen Verbänden usw. entgegengesetzt werden. Statt der Pluralisierung der Selbstrechtfertigungen werden Rivalitäten zum Motiv einer Leitkultur, und damit wird jene Verknappung und Ausschliessung vorangetrieben, die Judith Butler als gezielte Spaltung (6) und Jacques Rancière als pure Verwaltungsmacht und damit als Ende des Politischen beschreiben.

Die fatale Verkürzung zwischen einer potenziellen Erkenntnisoption (die sich im  ergebnisoffenen Betrachten vollzieht) und dem individuellen Bekenntnis andererseits zeigt sich als Einfallstor für diese gesellschaftliche Spaltungen und wirkt nicht mehr nur als vorherrschender Konsens oder sozialer Zwang, sondern als eine effektive, tiefgreifende Bedeutungsmacht. Diese Verkürzungen und Erfassungen funktionieren auch im Zugriff und Rückgriff auf die Körper, als eine Biopolitik, die sich in einer neuen Dimension entfaltet, wenn wir durch Ganzkörperscanner geschickt werden und Terroristen nicht mehr als Täter, sondern als Inkarnation der Gefahr gelten, wenn in jüngster Zeit die Bombe im Körper geahndet wird  (7). Längst sind die persönlichen Reaktionen, Gefühle und Träume zum Gegenstand von Pathologisierung, von Verhaltens-, Hirn- und Genforschern geworden, und an Stelle der individuellen Entfaltungs- und Entwicklungsfreiheiten stehen die wissenschaftlichen Prognosen und Relativierungen von Willens- und Gedankenfreiheit, daraus speist sich zum Beispiel eine Debatte um “Killergames”. Wir sind nicht nur auf unsere eigenen Ansichten zurückgeworfen, sondern werden mit und in diesen eigenen Ansichten gefangen.

Gerade weil wir involviert sind, müssen wir uns nicht mehr gesondert erkennen und bekennen, wie es diskursive Ausfechtungen immer wieder aufgeleisen in neuerliche Formen der Beherrschung oder Zuschreibung. Hier zeigt sich die Chance einer Kunstinstallation, die keine Richtschnur bildet, die nicht zwischen richtig und falsch, nicht zwischen Freund oder Feind wertet. FEINDBILD 2.0 setzt im Gegenteil da an, wo die Verstrickungen in Systeme der Macht und Bekenntnismacht greifbar werden, geht Fragen nach (oder wirft sie erstmalig überhaupt auf), wer gegen was ankämpft, welche Zuschreibungen und Verwerfungen, welche unterschiedlichen Positionen in der digitalen Kommunikationsgesellschaft wirken. Wie sehen die Aktionsradien, die Wirkungshorizonte und Bruchlinien aus, welche Chancen und Schranken tun sich hinsichtlich der unterschiedlichen Warten auf?

Die Installation FEINDBILD 2.0 untersucht Potenzial und Strategien, mit denen sich eine Bildgewalt und eine Bedeutungsmacht neu verhandeln lässt. Bildende Kunst – aber auch digitale Netzwerke schaffen eine Offenheit als Erkenntnisoption. Duchamp wies mit dem Readymade bereits in eine Richtung, die später unter dem Begriff des Offenen Kunstwerks (8) Schule machte. In einer bedeutungsoffen Anordnung stehen die Rezeptionsbedingungen und die eigenen Be-Deutung im Zentrum der Auseinandersetzung. Das offene Kunstwerk will die Herausforderung der Wahrnehmungsprozesse, des sinnlichen Betrachtens und menschlichen Reflektierens schlechthin. Die Installation Feindbild adaptiert diese Herausforderung in Form einer veränderbaren, offenen Versuchsanordnung, in der BesucherInnen, Netzcommunities und Betroffene zu Wort kommen und sich selbst und ihren eigenen Umgang mitten in einer Bilderflut und Bildergeschichte ausprobieren können.

FEINDBILD 2.0 will sich gezielt den Verunsicherungen und Herausforderungen stellen. Zugriffsrechte auf Bilder und das Recht am eigenen Bild werden an Hand diskontinuierlicher Biografien evaluiert; die Sousveillance fragt nach den Formen von Bildgewalt und dem Dilemma omnipräsenter Überwachung; Projekte gegen Neonazis unterwandern die rechtsradikale Unterwanderung; eine Spurensicherung betreffend Horrorfilme sucht nach der Greifbarkeit des Unbegreiflichen; schließlich wird das ganze Kunsthaus zum Battleground und der Ausstellungsraum wird mittels Ego-Shooter erobert, wodurch das Bespielen virtueller Räume den Austragungsort der Bilderstreite heimsucht – und umgekehrt eine Tradition der Schreckensbilder (wie Goyas Reihe ‘Desastres’) neue Gesichtspunkte des gegenwärtigen Bilderstreits öffnet.

Das gesamte Kunsthaus wird als offenen Installation bespielt, in der das Schwemmgut aus dem digitalen Fluss und die Verhandlungsprozesse, die dadurch auslöst wurden, gemeinsam betrachtet und neue Formen der Community und des Austauschs ergründet werden können.

Durch diesen Grenzgang zeichnet sich das Dispositiv ab, das jene Chance birgt, sich selbst, die Bedeutungen und die Erkenntnissysteme gleichsam modifizieren zu können. Dies ist das Prinzip bildender Kunst. Es ist das Erlebnis der Malerin / des Malers vor der Leinwand: ein Bild zu entwerfen, zu verwerfen und neu zu zeichnen, sich in diesem Prozess selbst auszuliefern, sich selbst zu befragen und neu zu finden. Statt der Herstellung von Kunstobjekten als Vorbilder geht es um die Neuerung des Kunstbegriffs als Zugänglichkeit dieses bildnerischen und künstlerischen Prinzips. Immer wieder hinter eigene Ansichten und Vorstellungen zurückzutreten, um nichts Geringeres als sich selbst zu verändern, meint nicht eine Form des Widerstandes als Gegenmacht oder Gegenbewegung, sondern eher jenes passive Element, das den Bewegungen standhält: eine Resistenz, die selbstkritisch gegen jede festschreibende Identität bleibt und so im Werden ist. (9) Diese Resistenz als eigenes Potenzial des Erkennens und Betrachtens bildet den Fluchtpunkt, der in Verstrickungen, Rückbindungen, Spaltungen und Formungen verloren schien – eine Form der Eigenheit und Eigentlichkeit, einst Souveränität oder Mündigkeit genannt. Es ist immer noch und immer wieder der individuelle Aspekt, die Einzigartigkeit des Menschen und seines Gestaltungspotenzials, die unser Werte- oder Machtsystem und unsere Ethik als ihr Korrektiv, ihr lebendiges und damit undogmatisches, ausgleichendes Fundament adressiert.

Die Herausforderung von FEINDBILD 2.0 liegt darin, hinter individueller und gesellschaftlicher Zerrissenheit in einer Archäologie streitbarer Bilder den komplexen Formationen von Bedeutungsmacht nachzuspüren. Wir hoffen, dass diese Herausforderung von den DresdnerInnen (10) und über die Stadt hinaus angenommen wird. Den ganzen Kunstraum werden wir möglichst offen bespielen, wir werden selbst auch oft vor Ort sein und die einzelnen Projekte und Ansätze gemeinsam kontinuierlich weiterentwickeln. (11) Über Beiträge persönlicher, künstlerischer oder wissenschaftlicher Art, über Kooperationen und Beteiligungen freuen wir uns sehr. Die Ausstellung soll als Plattform, als Ausgangspunkt dienen und steht allen offen.

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(1) Vergleiche Linda Hentschel (Hg.): Bilderpolitik in Zeiten von Krieg und Terror. Medien, Macht und Geschlechterverhältnisse, Berlin 2008

(2) The Web’s New Gold Mine: Your Secrets – A Journal investigation finds that one of the fastest-growing businesses on the Internet is the business of spying on consumers
The Wall Street Journal, Julia Angwin, 30. Juli 2010
http://online.wsj.com/

(3) “… die treibende Kraft hinter der Datensammelwut ist nicht das Internet oder Google, sondern der Staat. Dahinter steckt eine neue Art von Regierungsmentalität. Dieser Staat übt Macht durch Partikularismus aus, in dem er so viel wie möglich über die Individuen weiß, die er regiert.”
Interview mit Richard Sennett “Die Stasi war eine Organisation wie Google” in Der Spiegel, Januar 2010 http://www.spiegel.de/netzwelt/web/0,1518,671506,00.html

(4) Sächsischer Landtag, Architekturbeschreibung: “Die vornehme Zurückhaltung, mit der sich die Gebäudeanlage im Elbe-Raum einordnet, widersteht jeglicher Versuchung, den umgebenden Solitärbauten Konkurrenz zu bieten bzw. den inneren Nutzungszweck als Parlamentsbau in übertriebener Weise nach außen zu präsentieren. Der Stahlbau mit seinen großen Glasflächen zwingt das einem Parlament gut zu Gesicht stehende Thema „Transparenz“ förmlich auf.”
http://www.landtag.sachsen.de/de/architektur_kunst/projekt_landtag/224.aspx

(5) Im Baden-Württemberger Test für einbürgerungswillige Ausländer lautete eine Frage: “Stellen Sie sich vor, Ihr volljähriger Sohn kommt zu Ihnen und erklärt, er sei homosexuell und möchte gerne mit einem anderen Mann zusammenleben. Wie reagieren Sie?”
http://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,406098,00.html

(6) In ihrer Rede vor dem Brandenburger Tor anlässlich des CSD-Christopher Street Day in Berlin am 19. Juni 2010 (jährliche Massendemonstration Homosexueller) legte Judith Butler dar, dass sich innerhalb der Homosexuellen-Organisationen rassistische Tendenzen abzeichnen, wenn von der Bedrohung und dem Täterprofil gesprochen wird: männlich, muslimisch, gewaltbereit, Migrationshintergrund. Hier wird ein Rassismus und eine Ausgrenzung vorgenommen von einer Gruppe, die vor dem Hintergrund eigener Ausgrenzungserfahrung agiert.

(7) Beim Anschlag auf den saudischen Prinzen Mohammed Bin Naif im August 2009 trug der Attentäter Abdullah al-Asiri die Bombe in seinem Körper. Laut Medienberichten hatte er etwa ein halbes Kilogramm Sprengstoff in sich.
http://derstandard.at/1253807854170
Vergleiche: Unterhosenbomber
Umar Farouk Abdulmutallab versuchte im Dezember 2009 eine Delta/Northwest-Maschine mit Sprengstoff in die Luft zu jagen, den er in seiner Unterwäsche trug
Vergleiche: Bombenimplantate
Der britische Geheimdienst MI5 erklärte im März 2010 Islamistische Selbstmord-Attentäterinnen würden sich mit Sprengstoff angereicherte Silikon-Brüste implantieren lassen
http://www.thesun.co.uk/

(8) Vergl. Marcel Duchamp, Readymades ab 1914; John Cage 4’33” 1952; Umberto Eco, Opera Aperta – Das offene Kunstwerk 1962

(9) Vergl. Foucault, Technologie des Selbst, Ästhetik der Existenz

(10) Das 2007 begonnene Projekt picidae (Mauerspecht) der Künstler Christoph Wachter & Mathias Jud erhielt im Rahmen der CynetART 08 den Förderpreis der Staatsministerin für Kunst des Freistaates Sachsen. Mit dem Förderpreis wurde die Aufforderung verbunden, ein Kunstprojekt für Dresden zu realisieren.

(11) Terminvereinbarungen mit Christoph Wachter und Mathias Jud unter
contact@wachter-jud.net

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